Deprecated: mysql_pconnect(): The mysql extension is deprecated and will be removed in the future: use mysqli or PDO instead in /home/clients/dd97c3d1555e010b40d5c268f7caf91f/web/338/dei/includes_c/inc_dbopen.php on line 48
Défense des enfants international
section suisse
 
Afficher un article
Les sources des articles disponibles dans la recherche sont l'historique des bulletins DEI, la Convention des droits de l'enfant ainsi que certaines publication de DEI.


Ein wichtiger Schritt in Richtung gewaltfreie Erziehung : Bemerkungen zum Bundesgerichtsentscheid vom 5. Juni 2003
  
[ Bulletin DEI, Dezember 2003 Band 9 Nr 4 S. 22, 23, 24 ]

Judith Wyttenbach

Fürsprecherin

Herr Y. ohrfeigt die 9 und 11 Jahre alten Kinder seiner Konkubinatspartnerin im Schnitt alle drei Monate, teilt ihnen manchmal Fusstritte aus und zieht sie regelmässig an den Ohren. Verletzt dieses Verhalten auf unzulässige Weise die körperliche Integrität der Kinder oder stellt es eine zulässige Erziehungsmassnahme dar? Wie sah die Rechtslage bis zu diesem Sommer aus und was ändert sich durch den neuen Bundesgerichtsentscheid vom 5.6. 2003 ?

Das Erziehungsrecht der Eltern ist im Zivilgesetzbuch (ZGB) geregelt. Anlässlich der Revision des Kindesrechts von 1978 wurde das Züchtigungsrecht der Eltern formell aus dem Text des ZGB gestrichen; nach der älteren Rechtsprechung und einer Mehrheit der Lehrmeinungen besitzen Eltern jedoch weiterhin aufgrund ihres allgemeinen Erziehungsrechts die Befugnis, ein Kind aus pädagogischen Gründen zu „züchtigen“. Diese Auffassung vertrat bisher auch der Bundesrat. Nicht nur in seiner Botschaft von 1978 1, auch fast zwanzig Jahre später noch – 1996 – hielt er in einer Antwort auf eine Motion der Rechtskommission des Nationalrates fest, dass Eltern Körperstrafen anwenden dürften, wenn „dies zum Wohl des Kindes oder zum Schutz Dritter erforderlich ist, die entsprechende Massnahme verhältnismässig erscheint und keine mildere Erziehungsmassnahme zur Verfügung steht.“ 2. Das Kindesrecht äussert sich heute nicht mehr ausdrücklich zu Strafen in der Erziehung. Nach Art. 301 Abs. 1 ZGB bestimmen die Eltern die Art der Erziehung selber, was implizit die Wahl angemessener Disziplinierungsmittel mit einschliesst. Die Eltern haben ihr pflichtgebundenes Erziehungsrecht stets am Wohl des Kindes und an seiner „körperlichen, sittlichen und geistigen Entfaltung“ auszurichten (Art. 302 Abs. 1 ZGB). Zivilrechtlich unzulässig sind daher von vornherein alle Erziehungsmassnahmen, die erniedrigend sind oder die dem Kind nicht nur leichte Schmerzen zufügen (starke Schläge, Schläge mit Gegenständen, Haare ausreissen etc.). Zivilrechtlich zulässig bleiben jedoch – wiederum nach der Mehrheit der Lehrmeinungen – grundsätzlich Körperstrafen wie Klapse auf den Hintern oder Ohrfeigen, sofern diese nicht heftig sind.

Strafrechtlich (StGB) handelt es sich bei jeder Ohrfeige, jedem Ohrenziehen und jedem einzelnen Fusstritt um Tätlichkeiten, die lediglich auf Antrag des Opfers verfolgt werden. Antragsberechtigt sind nach dem StGB nur handlungsfähige Personen, also nicht Kinder und Jugendliche, es sei denn, sie handelten durch einen Vormund oder andere gesetzliche Vertreter wie beispielsweise die Eltern. Möglicherweise müsste sich ein solches Antragsrecht der urteilsfähigen Kinder in Einzelfällen neuerdings direkt aus Art. 11 Abs. 2 der neuen Bundesverfassung herleiten lassen, wonach Kinder und Jugendliche ihre [persönlichkeitsnahen] Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit selbständig ausüben können. Diese Frage wurde bisher allerdings noch nicht entschieden.

Werden Tätlichkeiten wiederholt gegen unmündige verübt, ist bereits heute von Amtes wegen eine Strafverfolgung zu eröffnen (Art. 126 Abs. 2 StGB). Diese Offizialisierung in Fällen von Gewalt gegen Kinder wurde erst 1989 ins Gesetz aufgenommen. Sie war heftig umschritten ; manche Politiker sahen in der neuen Bestimmung den Beginn der Erosion jeder elterlichen Autorität. Der Bundesrat – gewappnet gegen die befürchteten Anwürfe – beschwichtigte die Kritiker in seiner Botschaft mit den Worten, dass die Grenze der Strafbarkeit „natürlich“ erst dann erreicht sei, wenn „die Tätlichkeiten freilich wiederholt, d.h. etliche Male und gewissermassen gewohnheitsmässig gegenüber dem gleichen Opfer begangen werden.“ Ausserdem könne auch bei wiederholten Tätlichkeiten das Züchtigungsrecht der Eltern weiterhin als Rechtfertigungsgrund herangezogen werden 3. Das Erziehungsrecht der Eltern kann leichte Züchtigungen rechtfertigen, wenn die Tätlichkeiten – in den Worten des Bundesgerichts – das allgemein übliche und gesellschaftlich geduldete Mass nicht übersteigen und angemessen sind 4. Doch wann ist eine Körperstrafe angemessen? Wann ist sie mit dem seelischen und körperlichen Wohl des Kindes vereinbar? Aus den zivil- und strafrechtlichen Bestimmungen ergibt sich im Grunde genommen ein Misshandlungsverbot. Zwar steht nirgends ausdrücklich, dass Eltern ihre Kinder schlagen dürfen; es steht aber auch nirgends, dass jede Form von Körperstrafe unzulässig ist. Die heutige Rechtslage hat zur Folge, dass die körperliche Integrität von Kindern strafrechtlich weniger umfassend geschützt ist, als diejenige von mündigen Erwachsenen.

Im internationalen Menschenrechtsschutz sind in diesem Bereich bereits eindeutigere Worte gewählt worden: Die UNO-Kinderrechtskonvention (KRK) von 1989 – für die Schweiz in Kraft seit 1997 – räumt der Gewaltprävention und -bekämpfung einen zentralen Stellenwert ein. Art. 19 der Konvention verpflichtet die Staaten, Kinder vor körperlichen Übergriffen innerhalb der Familie zu schützen:

„Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmassnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschliesslich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut.“

Der Vertragstext enthält zwar – aufgrund von starken Differenzen zwischen den Staaten bei seiner Ausarbeitung – keine ausdrückliche Pflicht, jede Form von Elterngewalt unter Strafe zu stellen. Aus der Formulierung von Art.19 geht jedoch klar hervor, dass auf das Ziel einer gewaltfreien Erziehung hin zu arbeiten ist. Diese Interpretation wählte auch der UNO-Kinderrechtsausschuss in seinem Bericht zur 28. Sitzung vom September 2001: Er fordert die Staaten dringend auf, ihre Gesetzgebung zu revidieren und jede noch so leichte Form von Körperstrafe gegen Kinder ausdrücklich zu verbieten 5. Kurze Zeit später rügte der Ausschuss in concreto die Schweiz, weil sie ihren Verpflichtungen aus Art. 19 KRK nicht genügend nachkomme. Er beanstandete, dass „gemäss der Rechtsprechung des [schweizerischen] Bundesgerichts körperliche Züchtigung nicht als physische Gewalt anzusehen ist, wenn diese das gesellschaftlich anerkannte Niveau nicht überschreitet. Des Weiteren ist der Ausschuss besorgt darüber, dass körperliche Züchtigung innerhalb der Familie vom Gesetz nicht untersagt wird 6.“ Doch nicht nur auf der völkerrechtlichen Ebene hat sich in den vergangenen zehn Jahren einiges bewegt: Auch die neue Bundesverfassung von 1998 nimmt sich in wesentlich grösserem Ausmass den Anliegen von Kindern und Jugendlichen an als die Verfassung von 1874. Sie enthält neben mehreren kinder- und jugendbezogenen Sozialzielen auch eine Grundrechtsbestimmung, die den Kindern und Jugendlichen einen „Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit“ einräumt (Art. 11 Abs. 1 BV).

Das Schweizerische Bundesgericht stüzte bei seinem neuesten,in den Medien breit diskutierten Entscheid vom 5. Juni 2003 massgeblich auf diese Entwicklungen im internationalen Menschenrechtsschutz und im Verfassungsrecht ab, als es die eingangs gestellte Frage zu entscheiden hatte: Darf ein Stiefvater die Kinder seiner Lebenspartnerin wiederholt ohrfeigen, mehrmals mit Füssen treten und regelmässig an den Ohren ziehen? Dass ein solcher Fall überhaupt vor Gericht gelangt, ist eine Seltenheit: Der Mann wurde vom Vater der Kinder angezeigt. Wenn leibliche Eltern ihre Kinder in der oben genannten Weise körperlich bestrafen, bleibt dies in der Regel im Dunkel der familiären Geheimsphäre verborgen. Während die kantonale (waadtländische) Vorinstanz der Ansicht war, dass der Mann lediglich sein legitimes Züchtigungsrecht ausgeübt hatte, kam das Bundesgericht zu einem anderen Schluss: Von gelegentlichen Züchtigungen könne bei diesem Sachverhalt nicht mehr gesprochen werden; es handle sich offensichtlich um einen auf Gewalt beruhenden Erziehungsstil, der nicht zu rechtfertigen sei 7. Der Schutz von Kindern vor Verletzungen der körperlichen und psychischen Integrität folge einerseits aus dem Strafrecht und Zivilrecht, andererseits aber auch direkt aus Art. 11 Abs. 1 der neuen Bundesverfassung, der die Behörden verpflichte, die Unversehrtheit von Minderjährigen zu schützen. Im Licht der jüngsten Entwicklungen im Verfassungs- und Menschenrechtsschutz überschritten die Taten nach Auffassung des Gerichts in jedem Fall die Grenze des Zulässigen – ob sie nun durch Eltern oder andere Personen verübt würden –, weshalb offen bleiben könne, ob der Mann überhaupt berechtigt gewesen sei, Erziehungshandlungen an den Kindern vorzunehmen. Beanstandet wurden vor allem die Fusstritte, die als erniedrigende Behandlungen in keinem Fall zulässig seien, sowie die Zahl der Übergriffe: « En effet, en donnant aux enfants des gifles et des coups de pied au derrière à une dizaine de reprises, l’intimé a dépassé ce qui est admissible 8 … » Der Angeschuldigte hatte geltend gemacht, dass nicht einer Wiederholung im straftrechtlichen Sinne gesprochen werden könne, weil die Vorfälle sich über drei Jahre erstreckten und teilweise weit auseinander lagen. Dieser Auffassung erteilte das Bundesgericht eine klare Abfuhr: Die Behörden müssten bereits eingreifen können, bevor die Übergriffe gewohnheitsmässig erfolgten.

Gebunden an den Sachverhalt kam das Gericht um die Aufgabe herum, sich auf einer noch grundsätzlicheren Ebene mit Elterngewalt auseinander zu setzen. Namentlich wurde nicht geklärt, ob in einem leichteren Fall, beispielsweise bei gelegentlichem Ohrfeigen oder Klapsen auf den Hintern, immer noch ein Züchtigungsrecht als Rechtfertigung vorgebracht werden könnte. „On peut laisser en l’espèce sans réponse la question de savoir dans quelle mesure le droit d’infliger de légères corrections corporelles existe encore“ 9, hält das Gericht zu Beginn seiner Erwägungen fest, um vier Absätze später mit dem Satz zu schliessen: „[L’intimé] a donc dépassé ce qui était admissible au regard d’un éventuel droit de correction 10 “ Hier beginnt die Aufgabe des Gesetzgebers, sowohl im Zivil- wie im Strafrecht mit unzweideutigen Formulierungen den Schutz der körperlichen und seelischen Integrität von Kindern jenem von Erwachsenen vollständig gleich zu stellen und Eltern die gänzlich gewaltfreie Erziehung vorzuschreiben.

Auch wenn einige Fragen offen geblieben sind, so hat das Bundesgericht mit seinen Präzisierungen zu Art. 126 Abs. 2 StGB doch einen wichtigen und längst fälligen Schritt hin zu einem verbesserten Schutz der Kinder getan: Gewalt als systematisches Erziehungsmittel ist unzulässig. Andere europäische Länder sind hier allerdings schon wesentlich weiter: Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, Zypern, Deutschland und Österreich haben den Grundsatz verankert, dass Kinder gewaltfrei zu erziehen sind. In einigen Ländern wurde auch das Strafrecht entsprechend ergänzt. Der Entscheid des Bundesgerichts wird nicht nur Zustimmung finden : Noch immer halten es viele Eltern für ihr Recht, die eigenen Kinder zu schlagen. Die Tatsache allerdings, dass vieleEltern Körperstrafen anwenden, bedeutet nicht, dass dieses Verhalten auch (moralisch) richtig ist. Der Israelische Supreme Court, der 1998 entschieden hatte, dass jede Form von elterlicher Körperstrafe zu verurteilen sei, antizipierte bereits in der Urteilbegründung die zu erwartende Kritik an seinem Entscheid: Natürlich werde ein Teil der Gesellschaft beanstanden, dass ein Verbot von Körperstrafen der Realität des Erziehungsalltags vieler Eltern widerspreche. Trotzdem sei der Entscheid richtig, die Würde des Kindes umfassend und ohne Ausnahme zu schützen. Die Definition von „vernünftiger“, „angemessener“ oder „leichter“ Gewalt dürfe nicht als gutgemeinter Kompromiss den Eltern überlassen werden: «We cannot endanger the bodily and mental integrity of the minor with any type of corporal punishment; the type of permissible measures must be clear and unequivocal, the message being that corporal punishment is not permitted. 11“

1. BBl 1974 II 77.

2. Antwort des Bundesrates vom 24.4.1996 auf die Motion 96.3176.

3. BBl 1985II 1009, 1032, Hervorhebung durch die Autorin.

4. 117 IV 14.

5. „The Committee urges States parties, as a matter of urgency, to enact or repeal their legislation as necessary in order to prohibit all forms of violence, however slight, within the family and in schools, including as a form of discipline, as required by the provisions of the Convention and in particular articles 19, 28…“. Recommendation No. 715, UN-Committee on the Rights of the Child, 28th Session, 28.9.2001, CRC/111.

6. UN-Committee on the Rights of the Child, Schlussbemerkungen zum 1. Staatenbericht der Schweiz, 7.6.2002, CRC/C/15/Add. 182, N 32.

7. Bundesgerichtsentscheid vom 5.6.2003, 6S.361/2002, E. 2.2.

8. A.gl.O., E. 2.4.

9. A.gl.O., E. 2.5.

10. A.gl. O, E. 3.2.

11. ISC,CA 4596/98, Plonit v. A.G., 54 (1),P.D., 145f. Englische Übersetzung auf www.endcorporalpunishment.org.






© DEI - NetOpera 2002 - 2008 Kontakt Conception et réalisation: NetOpera/PhotOpera,





niak2