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Défense des enfants international
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Offenlegungsgespräche

Eine interdisziplinäre Interventionsform zur Prävention sexueller Uebergriffe auf Kinder.
Ein Modell der Kooperation zwischen Opferberaterinnen und Täterbehandlern.

  
[ Bulletin DEI, März 2006 Band 12 Nr 1 S. III-IV ]


Ein Modell der Kooperation zwischen Opferberaterinnen und Täterbehandlern.

Castagna ist eine Beratungstelle für sexuelle ausgebeutete Kinder, weibliche Jugendliche und in der Kindheit ausgebeutete Frauen. Sie setzt sich für die Betroffenen sexueller Ubergriffe und ihre Bezugspersonen ein, bietet persönliche und telephonische Beratung und Unterstützung, Begleitung im Rahmen der Opferhilfe und Vermittlung von Fachpersonen. Castagna steht auch als Information- und Fachstelle zur Verfügung. Sie bietet Beratung von Fachpersonen und Weiterbildung an. Offenlegungsgespräch ist eine Interventionsmöglichkeit im Fall von sexuelle Ausbeutung und nur ein Teil der Tätigkeiten der Organisation.

Strafverfahren, ein effizientes Vorgehen gegen sexuelle Ãœbergriffe?

Seit zwei Jahrzehnten ist das Thema sexueller Ãœbergriffe auf Kinder und Frauen in erhöhtem Mass ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. Diese Entwicklung ist vor allem der feministischen Bewegung zu verdanken. Der Aufbau von Opferberatungsstellen, die Verabschiedung des Opferhilfe-Gesetzes, Präventionsbemühungen in Schulen und Einrichtungen der psychosozialen Versorgung, Sensibilisierung in Betrieben etc. sind u.a. die Resultate dieser Entwicklung. So ist z.B. die Zahl der Verurteilungen wegen sexueller Handlungen mit Kindern im Zeitraum von 1987 bis 2002 um 172 % von 207 auf 356 gestiegen, (Kriminalstatistik des Kantons Zürich).
Hinter diesen Zahlen von Verurteilungen verbirgt sich laut verschiedenen Untersuchungen allerdings eine nur schätzungsweise eruierbare Anzahl von sexuellen Ãœbergriffen, welche nicht zur Anzeige gebracht werden oder bei denen eine Anzeige aus untersuchungstechnischen oder juristischen Gründen zu keiner Verurteilung führt. Nach einer in der Schweiz durchgeführten Studie von Gloor und Pfister (1995) geben zwischen 24 und 65 % der Befragten an, vor dem 14. Lebensjahr Opfer sexueller Ausbeutung geworden zu sein.
Von strafrechtlichen Untersuchungen sexueller Ãœbergriffe auf Kinder führen die wenigsten zu einer Verurteilung des Täters. Laut einer aus England vorliegenden Studie (Sullivan 1998) führten von 41’800 Anzeigen nur gerade 2’200 zu einer Verurteilung. Dies entspricht einer Verurteilungsrate von 5 %. Strafrechtliche, kriminalistische und untersuchungstechnische Gründe führen leider dazu, dass Anzeigen in den seltensten Fällen zu einer Sanktionierung des Täters und zum Schutz der Opfer führen.
Wenn Fachleute von Opferberatungsstellen gemeinsam mit ihren Klientinnen erwägen, Anzeige zu erstatten, dann kommen sie in 94 % der Fälle letztlich zum Schluss, dies doch nicht zu tun. (Fegert 1998).
Angesichts dieser Fakten fragt man sich mit Recht, ob Strafverfahren als ein effizienter Beitrag zum Schutz von Opfern sexueller Ausbeutung betrachtet werden können. Juristen, Opferberaterinnen und Täterbehandler sowie andere professionelle Helfer sind aufgefordert, neue Formen des Opferschutzes zu entwickeln.

Offenlegungsgespräche: Eine mögliche Interventionsform
Im Falle von sexuellen Ãœbergriffen im sozialen Nahraum und unter der Voraussetzung, dass das Opfer keine Anzeige gegen den Täter erstatten will respektive kann und gewisse Indikationen dafür gegeben sind, gibt es als Interventionsmöglichkeit das Offenlegungsgespräch. Dieses verfolgt drei Ziele:
1. das Opfer schützen,
2. den Täter zu einer rückfallpräventiven Behandlung motivieren,
3. Rückfälle verhindern und so den Schutz potenzieller Opfer gewährleisten.

Ãœbergriffe im sozialen Nahraum
Die meisten sexuellen Ãœbergriffe auf Kinder werden von Eltern, Geschwistern, Verwandten, Freunden oder Bekannten des Opfers verübt. Nach einer Studie von Sorenson und Snow (1991) stammen 74 % der Täter aus dem Verwandten- oder Freundeskreis des Kindes. Neben den Ãœbergriffen selbst stellen sich einem Opfer deshalb mannigfaltige Probleme: Verunsicherung und Verständnisschwierigkeiten bezüglich des sexuellen Handelns, Abgrenzung sowie Schutz vor manipulativem Verhalten des Täters, andere Ängste auf verschiedenen Ebenen, Loyalität gegenüber dem Täter, Schutz vor Drohungen, Verlust von Anerkennung und Liebesentzug durch andere Personen, um hier nur einige anzuführen. Um über die sexuelle Ausbeutung sprechen zu können, muss die Betroffene vielfältige innerpsychische Hindernisse und solche im sozialen Umfeld überwinden. Wenn sie gegenüber einer Opferberaterin die Situation der sexuellen Ausbeutung offen legt, handelt es sich hierbei meistens um den ersten Versuch, das Geschehen zu stoppen oder zu verarbeiten.
Das Kind an diesem Punkt zu schützen würde bedeuten, den Täter zu stoppen. Die oben dargestellte Situation verunmöglicht es dem Opfer und der professionellen Helferin in vielen Fällen, eine unmittelbare Aktion im Sinne des Schutzes erfolgen zu lassen. Das Opfer möchte den Täter nicht strafrechtlich verfolgen lassen, weil es sich um den Vater, den Bruder oder ein anderes angesehenes oder geliebtes Familienmitglied handelt. Bei erwachsenen Opfern liegen die Ãœbergriffe bisweilen Jahre zurück, und eine juristische Verfolgung ist nicht mehr möglich. Das Opfer wünscht, dass die Ãœbergriffe gestoppt werden, manchmal auch, dass eine direkte Auseinandersetzung mit dem Täter stattfindet. Eine Anzeige schliesst es vorerst aus. Die Gründe, aus denen ein Opfer den Täter nicht einem strafrechtlichen Verfahren aussetzen will, sind vielfältig und sollten ernst genommen werden.

Konfrontation

Bei manchen Betroffenen oder bei Müttern von betroffenen Kindern zeichnet sich in der Beratung das Bedürfnis ab, den Täter mit den Anschuldigungen zu konfrontieren, auf dass die sexuelle Ausbeutung gestoppt wird oder, bei länger zurückliegenden Fällen, dass z.B. die Familiensituation geklärt wird oder aktuelle Opfer geschützt werden. Die Beraterin bereitet in ihrer Arbeit die Klientin sorgfältig auf das Offenlegungsgespräch vor, erwägt die möglichen Reaktionen des Täters und die sich daraus für die Klientin ergebenden Konsequenzen. Die Beraterin erhält die Erlaubnis, unter gewissen Umständen und Bedingungen den Täter innerhalb des Offenlegungsgespräches zu konfrontieren. Sie erarbeitet mit dem Opfer klare Vorstellungen und Zielsetzungen, welche bei einem solchen Offenlegungsgespräch realistischerweise erreicht werden können.
An einer Offenlegung nehmen teil: das Opfer, wenn es dies wünscht und ein gewisses Alter erreicht hat, die Opferberaterin, der Täter und ein Täterbehandler.
Im Offenlegungsgespräch wird der Täter mit den Anschuldigungen des Opfers direkt, konkret und detailliert konfrontiert. Er wird zu einer eigenen Stellungnahme und zur Offenlegung angehalten. Das Problem, mit der Anschuldigung bezüglich eines sexuellen Ãœbergriffes konfrontiert zu werden, wird zum Anlass genommen, ihn zu einer persönlichen Auseinandersetzung zu führen. Im zweiten Schritt wird der Täter dazu aufgefordert, sich in einer deliktorientierten weiterführenden Behandlung mit einem Täterbehandler diesem Problem zu stellen. Inwieweit die sexuelle Ausbeutung tatsächlich in der vom Opfer geschilderten Form stattgefunden hat und im Detail objektivierbar ist, gehört nicht unbedingt zum Inhalt des Offenlegungsgespräches. Vom Angeschuldigten wird in erster Linie erwartet, dass er sich verantwortungsvoll und adäquat der Tatsache stellt, mit dem Vorwurf eines sexuellen Ãœbergriffs konfrontiert zu werden.

Durchführung
Das Offenlegungsgespräch mit dem Ziel, den Täter zur Offenlegung hinzuführen und zu motivieren, eine weitere Ãœbergriffe verhindernde Behandlung in Anspruch zu nehmen, stellt hohe Anforderungen an die involvierten Fachleute.

Die Opferberaterin stellt auf inhaltlicher Ebene die Anschuldigungen aus der Sicht des Opfers dar und verfolgt gesprächsstrategisch die herausfordernde Konfrontation. Der Täterbehandler zeigt dem Klienten gegenüber eine wertschätzende Haltung. In Bezug auf den Sachverhalt der sexuellen Ãœbergriffe hält er sich an eine konsequent aufdeckende Gesprächsführung vor dem Hintergrund seiner Fachkenntnisse über die Arbeit mit Tätern. Der Gesprächsinhalt und die Gesprächsatmosphäre werden dahin gehend gesteuert, dass der Täter die Möglichkeit erhält, die begangenen Ãœbergriffe anzuerkennen, aus seiner Sicht offen zu legen und sich in einer weiterführenden Behandlung damit auseinander zu setzen. Auf der einen Seite müssen eine einladende Atmosphäre und eine empathische Haltung gewährleistet werden. Auf der anderen Seite vertritt das Berater-Paar die unmissverständliche Konfrontation und die klare Ãœbernahme der Verantwortung durch den Täter. Auf der Ebene der Intervention gilt es zu verhindern, dass der Täter durch Ãœberheblichkeit, Opferhaltung, Verdunkelung, Bagatellisierung und andere Formen des Widerstands blockiert, sondern er muss dazu angehalten werden, offen zu legen, Stellung zu beziehen, in eine aktive, problemadäquate Haltung zu finden.
Im Gegensatz zur polizeilichen Befragung oder zur untersuchungsrichterlichen Einvernahme geht es im Offenlegungsgespräch nicht darum, den Täter zu überführen, untersuchungstechnisch verwertbares Material zu ermitteln und anzuklagen. Vielmehr geht es darum, dem Täter zu vermitteln, dass er durch seine offene und transparente Haltung eine Strafuntersuchung vorerst abwenden, durch seine Kooperation sowie durch die Teilnahme an einer deliktzentrierten Behandlung etwas zur Bewältigung seiner persönlichen Probleme tun und einen sehr persönlichen, direkten Beitrag zum Schutz von Opfern leisten kann.
Einen angeschuldigten Menschen bei dieser Intervention zu begleiten, bedarf der beraterischen Erfahrung im Umgang mit Opfern und tätlich gewordenen Menschen, der therapeutischen Kenntnisse in Trauma-Therapie und deliktorientierter Behandlung sowie der vorgängigen Auseinandersetzung mit dem Täter-Opfer-Thema im eigenen Leben.

Erfahrungen

Von den 48 Offenlegungsgesprächen, die von OLGA (Arbeitsgruppe Offenlegungsgespräche) bisher durchgeführt wurden, sind bislang 41 erfolgreich verlaufen. In sieben Fällen konnte der Täter nicht zu einer weiterführenden Auseinandersetzung motiviert werden. Wir haben es noch nie erlebt, dass ein Täter die Einladung, an einem Offenlegungsgespräch teilzunehmen, abgelehnt hat! Nur fünf legten den sexuellen Ãœbergriff nicht offen. Etwa zwei Drittel der Täter unterziehen sich einer deliktpräventiven Behandlung.
Diese Erfolgsbilanz hängt u.a. mit der sorgfältigen Vorabklärung zusammen. Immer wieder kommt es vor, dass wir das Offenlegungsgespräch als adäquate Intervention zum Opferschutz ablehnen. Wir verfügen inzwischen über einen differenzierten Kriterienkatalog, was die Indikationsstellung bezüglich Offenlegungsgesprächen anbelangt. Die Indikationskriterien, welche für die Durchführung eines Offenlegungsgesprächs angewendet werden, bilden sich auf drei Ebenen ab: Sie nehmen Bezug auf a) die sexuelle Ausbeutung, b) das Opfer, c) den Täter.
Das Offenlegungsgespräch stellt nicht die Lösung für den Umgang mit sexuellen Ãœbergriffen und den entsprechenden Tätern dar. Das Offenlegungsgespräch bietet sich als Alternative zum Strafverfahren, das in den seltensten Fällen produktiven Opferschutz gewährleistet, an. Deswegen sind aus unserer Sicht Fachleute weiterhin aufgerufen, neue Formen präventiver Massnahmen zum Schutz von Opfern zu entwickeln.

Aus dem Jahresbericht 2004

Castagna
Universitätstr. 86
8006 Zürich
Tel: 044 360 90 40
mail@castagna-zh.ch
www.castagna-zh.ch




Literatur:

Fegert J. M. (1998), Institutioneller Umgang mit sexuell missbrauchten Kindern. In: Kröber, H. L., Dahle, K. P. (Hrsg.): Sexualstraftaten und Gewaltdelinquenz, Heidelberg, Kriminalistik Verlag, 225-233.
Gloor R., Pfister T. (1995), Kindheit im Schatten: Ausmass, Hintergründe und Abgrenzung sexueller Ausbeutung, Bern, Europäischer Verlag der Wissenschaften.
Kriminalstatistik des Kts. Zürich, Kantonspolizei Zürich, 8000 Zürich.
Sorensen T., Snow B. (1991), How children tell: The process of disclosure in child sexual abuse, Child Welfare, 70, 3-14.
Sullivan J. (1998), The Lucy Faithful Foundation, Woolvercote, U.K., Vortrag gehalten am 12.06.1998 in Winterthur, unveröffentlichtes Skript.






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