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Mehr als Reden … Gedanken zu Artikel 12 der Kinderrechtskonvention Dr. iur. Regula Gerber Jenni [ Bulletin DEI, September 2009 Band 15 Nr 3 S.12 ] Es war ein guter Tag für die Verfahrensrechte der Kinder und Jugendlichen, als das Bundesgericht am 22. Dezember 1997 – neun Monate nach in Kraft treten der UN-Kinderrechtskonvention – entschied, dass Artikel 12 dieser Konvention eine direkt anwendbare Staatsvertragsbestimmung sei.(1) Artikel 12 – die wohl meistzitierte Konventionsbestimmung – garantiert dem Kind das Recht, in allen es berührenden Verfahren gehört zu werden. Die Verletzung dieses Rechts kann im Einzelfall gerügt und der Anspruch auf Gehör geltend gemacht werden. Die folgenden Ausführungen skizzieren die Umsetzung von Artikel 12 in familienrechtlichen Verfahren und diskutieren Rechtsentwicklungen in der Anhörung und der Kindesvertretung. Artikel 12 KRK verpflichtet Behörden und Gerichte, die Meinung des Kindes zu berücksichtigen, mit ihm ins Gespräch zu kommen und seine Sicht der Dinge kennenzulernen. Die Praxis versteht diesen Auftrag hauptsächlich als Anhörung. Der Gesetzgeber hat diese Form des rechtlichen Gehörs erstmals bei der Revision des Scheidungsrechts im Jahr 2000 in das Zivilgesetzbuch aufgenommen, wobei der praktischen Umsetzung allerlei Hindernisse entgegenstanden und (immer noch) entgegenstehen. Immerhin kann nach bald zehn Jahren festgestellt werden, dass sich in Trennungs- und Scheidungsverfahren die – direkte oder delegierte – Anhörung dank Rechtsprechung, Forschung(2) und Öffentlichkeitsarbeit(3) langsam aber stetig zu etablieren beginnt. Seit dem bundesgerichtlichen Leiturteil(4) ist – zumindest auf höchstrichterlicher Ebene – unbestritten, dass Kinder grundsätzlich und unabhängig von ihrer sachverhaltsbezogenen Urteilsfähigkeit ab dem sechsten Altersjahr anzuhören sind und dass Loyalitätskonflikte das Unterlassen der Anhörung nicht rechtfertigen. Auf die Anhörung darf nur verzichtet werden, wenn spezielle Gründe vorliegen, etwa bei begründetem Verdacht auf Repressalien gegenüber dem Kind(5), bei Beeinträchtigung der Gesundheit des Kindes(6), bei besonderer Dringlichkeit der Anordnungen(7) oder dann, wenn das Kind die Anhörung ablehnt.(8) Zwei Jahre später hat sich das Bundesgericht auch explizit zu den Voraussetzungen der delegierten Anhörung geäussert: Ist die damit beauftragte Person eine unabhängige und qualifizierte Fachperson, welche das Kind zu den entscheidrelevanten Punkten befragt hat, und gibt dieses Gespräch den aktuellen Sachverhalt wieder, so kann diese als Drittperson anhören. Damit soll „die Anhörung um der Anhörung willen“ namentlich dann vermieden werden, wenn eine wiederholte Anhörung das Kind unzumutbar belasten würde. (9) Auch bei Kindesschutzmassnahmen ist das Kind anzuhören.(10) Die diesbezügliche Bestimmung ist gleichzeitig mit der Anhörungsbestimmung in Trennungs- und Scheidungsverfahren in Kraft gesetzt worden, die Rechtsprechung dazu ist allerdings eher spärlich. Das widerspiegelt wohl auch die Anhörungsdefizite in diesem Bereich, obwohl sich im Kindesschutz die Anhörungspflicht nicht nur aus Artikel 12, sondern auch aus Artikel 9 KRK ergibt. Immerhin urteilte das Bundesgericht 2006, dass es bundesrechtswidrig wäre, ein elfjähriges Kind zur Fremdplatzierung nicht anzuhören.(11) Und 2008 hält es fest, dass – sprächen weder das Alter der Kinder noch sonstige, als wichtige Gründe anzuerkennende Umstände gegen eine Anhörung – nicht aufgrund antizipierter Beweiswürdigung von einer Anhörung abgesehen werden könne.(12) Ausländerrechtliche Verfahren (etwa beim Familiennachzug oder bei Fragen des Aufenthaltsrechts) kennen kaum eine so differenzierte Praxis. Hier ist laut Bundesgericht der Anhörung Genüge getan, wenn sich das Kind indirekt durch den Anwalt seiner Eltern einbringen kann.(13) Auch bei der zivilrechtlichen Kindesentführung nach dem Haager Übereinkommen gehört die Anhörung noch kaum zum verfahrensrechtlichen Handlungsrepertoire. Dies deshalb, weil es gemäss bundesgerichtlicher Auffassung in diesen oft komplizierten Angelegenheiten auch auf die Urteilsfähigkeit des Kindes ankomme: In einem solchen Verfahren müsse das Kind begreifen können, dass das Gericht nicht die Obhuts- oder Sorgerechtszuteilung, sondern nur den rechtmässigen Aufenthalt regle.(14) Die Botschaft zur Umsetzung des Übereinkommens über internationale Kindesentführung hält fest, dass diese Regel nun im Sinne der Anhörungspraxis nach dem Zivilgesetzbuch zu ändern sei, wo eben nach unbestrittener Auffassung die Urteilsfähigkeit keine Rolle spielt: „Im Übrigen ist für die Durchführung der Anhörung und allfällige Ausnahmen von der Anhörung die Praxis zu beachten, die sich im Zusammenhang mit den Artikeln 144 Absatz 2 und 314 Ziffer 1 ZGB herausgebildet hat.“(15) Das diesbezügliche Bundesgesetz (BG-KKE)(16) ist am 1. Juli 2009 in Kraft getreten – wir dürfen auf die Praxisänderung gespannt sein! Potentiale und Perspektiven Neben der Ausweitung der zivilrechtlichen Anhörungspraxis ist auch eine Präzisierung vorgesehen: Die schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO)(17) und das revidierte Vormundschaftsrecht (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht)(18) übernehmen die Anhörungsbestimmungen des Scheidungs- und Kindesschutzrechts und ergänzen diese mit einer Vorschrift über die Protokollierung und Weitergabe des Gesprächs; zudem hat das urteilsfähige Kind das Recht, die Verweigerung der Anhörung anzufechten. Künftig werden also nur die für den Entscheid wesentlichen Ergebnisse protokolliert. Diese „konzentrierte“ Aufzeichnung ist als vertrauensbildende Massnahme zwischen Kind und anhörender Person zu begrüssen, darf doch das Kind unter diesen Umständen auch Dinge ansprechen, die nicht aktenkundig werden. Die explizit festgehaltene Beschwerdemöglichkeit bei unterbliebener Anhörung stärkt die verfahrensrechtliche Position des Kindes; zu fordern ist allerdings, dass im Beschwerdefall die Messlatte für die Urteilsfähigkeit nicht allzu hoch angesetzt wird. Nicht nur die Anhörung, sondern auch die Kindesvertretung kann die Interessen, das Wohl und den Willen des Kindes wahrnehmen und wahren. Die diesbezügliche Bestimmung ist zusammen mit derjenigen zur Anhörung mit dem revidierten Scheidungsrecht im Jahr 2000 in Kraft getreten. Ihre praktische Bedeutung ist (noch) geringer als die Anhörung, obwohl das Bundesgericht anerkennende Worte für eine Prozessbeiständin bereithält: Sie handle unabhängig von Behörden und Gericht aus eigenem Recht für das Kind und habe namentlich dafür zu sorgen, dass die Anliegen des Kindes und eine Beurteilung der Situation aus der Sicht des Kindes in den Prozess eingebracht würden. Ihre Sachdarstellung sei geeignet, Unsicherheiten zu beseitigen und die Meinung des Kindes klarzustellen, und deshalb eine wertvolle Entscheidungshilfe.(19) Neuere gesellschaftliche Entwicklungen lassen erwarten und hoffen, dass diese wertvolle Hilfe breiter abgestützt und vermehrt genutzt wird: Zum einen setzt sich der Verein Kinderanwaltschaft Schweiz(20) seit 2006 dafür ein, zum anderen schreibt nun das BG-KKE(21) die Kindesvertretung verbindlich vor. Ferner wird in der schweizerischen ZPO – analog zum Anhörungsrecht – dem urteilsfähigen Kind ausdrücklich das Recht zugestanden, die Nichtanordnung der Vertretung mit Beschwerde anzufechten.(22) Diese Möglichkeit hat es allerdings nur in eherechtlichen, nicht aber in kindesschutzrechtlichen Verfahren. Bei der Revision des Vormundschaftsrechts hat das Parlament nämlich eine obligatorische Kindesvertretung bzw. ein entsprechendes Antragsrecht – und bei Nichtstattgabe ein Beschwerderecht – des urteilsfähigen Kindes abgelehnt. Damit hat der Gesetzgeber die Gelegenheit leider verpasst, im neuen Erwachsenen- und Kindesschutzrecht die Kindesvertretung verbindlich zu regeln. Künftig wird die Kindesschutzbehörde „wenn nötig“ die Vertretung des Kindes anordnen.(23) Diese gesetzgeberische Mutlosigkeit ist aus kinderrechtlicher Optik ärgerlich und in dogmatischer Hinsicht falsch, denn im Bundesgesetz über internationale Kindesentführung(24) ist die Kindesvertretung in jedem Fall und zwingend vorgesehen. Die unterschiedliche verfahrensrechtliche Position eines Kindes – bei internationaler Kindesentführung mit obligatorischer Vertretung, bei Kindesschutzmassnahmen nur „wenn nötig“ – lässt sich nicht rechtfertigen, weder auf der Ebene des Verfahrens noch auf derjenigen der zu entscheidenden Fragen. Art. 12 ist direkt anwendbar, verschafft also einen individuellen Anspruch gehört zu werden. Es gilt, dieses Recht von der „blossen“ Anhörung auf die – damit verbundene – Vertretung des Kindes zu erweitern. Gesetzgeberisches Potential ist namentlich in der künftigen schweizerischen Zivilprozessordnung und dem jüngst in Kraft getretenen Bundesgesetz über internationale Kindesentführung vorhanden.
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