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Défense des enfants international
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Recht auf Genugtuung im Fall von sexueller Ausbeutung
  
[ Bulletin DEI, avril 2005 Vol 11 No 1 p. 16 ]

Marie-Françoise Lücker-Babel Uebersetzung: Louisette Hurni-Caille und Anna Hausherr


Zurück zu einer umstrittenen Rechtsprechung


Am 24. Februar 2004 fällte das Bundesgericht ein heftig diskutiertes Urteil in einem Fall von sexuellen Handlungen an einem minderjährigen Knaben. Der Jugendliche, der von einem Jungscharleiter sexuell ausgebeutet worden war, hatte keine vollumfängliche Genugtuung für die erlittenen Übergriffe erhalten. Der angegebene Grund war, dass er sich nicht mit genügender Entschiedenheit gegen den Täter zur Wehr gesetzt habe. Dies rechtfertige eine Reduktion der Genugtuungs- und Schadenersatzsumme, die ihm der Urheber der Missetaten schulde.

Der 14-jährige A. hatte sexuelle Handlungen vom 13 Jahre älteren B. bis 1998 erdulden müssen. Nur die sexuellen Übergriffe, die zwischen 1990 und 1992 stattgefunden hatten, fielen unter die von Art.187 StGB (1) festgelegte Schutzaltersgrenze. Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte B. zu 12 Monaten Gefängnis bedingt, erlassen auf drei Jahre Bewährung, und zu einer ambulanten Psychotherapie. Ferner „verpflichtete es den Angeklagten, dem Opfer eine Genugtuung von Fr. 6000.– zu bezahlen, und stellte fest, dass der Angeklagte dem Opfer zu 30% haftpflichtig sei.” Über die Höhe der Schadenersatzsumme müsse ein Zivilgericht entscheiden. Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde focht das Opfer das Urteil an und bat, dass der Täter vollumfänglich für den Schaden verantwortlich gemacht werde und ihm eine Genugtuungssumme von Fr. 25’000.– zahle.

A. hatte das Urteil des Obergerichtes des Kantons Thurgau schon vor dem Eidgenössischen Verwaltungsgericht angefochten. Dieser Rekurs war am 22. Dezember 2003 abgewiesen worden. Aus dem Urteil ging hervor, dass das Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (gleich Opferhilfegesetz OHG) nur teilweise anwendbar war, da die sexuellen Handlungen gleichzeitig mit dessen Inkrafttreten erfolgt waren. Nach den Übergangsbestimmungen kamen nur die Bestimmungen über den Schutz und die Rechte des Opfers im Strafverfahren zum Tragen, nicht aber die Bestimmungen über Genugtuung und Schadenersatz. Diese Forderungen waren nur in Anwendung der Bestimmungen des Obligationenrechts (Art.41 ff OR) zu beurteilen und konnten noch nicht vom Staat nach Art.12 ff OHG erwartet werden.

In diesen Rahmen fügte sich das nachfolgend beschriebene Verfahren. Das OR sieht vor, dass ein widerrechtlich, absichtlich oder fahrlässig zugefügter Schaden dem Geschädigten das Recht auf einen Ersatz verleiht (Art.41 Abs.1 OR). Parallel dazu hat das Opfer eines schweren widerrechtlichen Eingriffs in seine Persönlichkeit Anspruch auf Genugtuung (Art.49 Abs.1 OR). Hat der Geschädigte eingewilligt oder hat er sich in irgendeiner Art daran beteiligt, den Schaden anzurichten oder zu vergrössern, kann die Summe des Schadenersatzes vermindert oder aufgehoben werden (Art.44 Abs.1 OR) (2).

Das Bundesgericht hat sich vor allem auf die Beziehung zwischen Art.187 StGB und dem Recht auf Schadenersatz nach Art.41 ff OR gestützt.


Widerrechtliche Handlung, eventuelles Einverständnis und Urteilsfähigkeit


Die Widerrechtlichkeit der Tat ist eine Vorbedingung für Reparation am Geschädigten. Die B. vorgeworfenen Handlungen sind erwiesene Übertretungen, welche die sexuelle Entwicklung eines Minderjährigen unter 16 Jahren beeinträchtigen können. Diese Entwicklung ist ein vom Strafgesetzbuch unter allen Umständen absolut geschütztes Gut. Die Entwicklung muss nicht tatsächlich beeinträchtigt worden sein und die eventuelle Einwilligung des Kindes kann die Handlungen niemals rechtfertigen. Das Recht auf Genugtuung besteht im Übrigen unabhängig von der Rechtsgültigkeit des Einverständnisses des Opfers. „Das schliesst allerdings nicht aus, dass das Verhalten des Opfers in Betracht gezogen wird als Selbstverschulden im Sinne von Art.44 Abs.1 OR.”

Anschliessend haben sich die Richter mit der Rolle der Urteilsfähigkeit des Kindes befasst: Art.187 StGB stellt keine Anforderungen in dieser Hinsicht (3); er wird angewandt, sobald die Handlungen die Bedingungen des Artikels erfüllen und das Kind weniger als 16 Jahre alt ist. Mit andern Worten: Die Anwendung von Art.187 StGB bedeutet nicht, dass das Kind urteilsunfähig war (Erwägung 3).


Selbstverschulden


Wie schon erwähnt, kann die Pflicht, Genugtuung zu leisten, eingegrenzt oder sogar aufgehoben werden, falls gewisse Umstände in Bezug auf das Opfer einen Einfluss auf das Auftreten oder die Schwere des Schadens gehabt haben (Art.44 OR). Dies ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des privaten Haftungsrechts. Damit vom Geschädigten gesagt werden kann, er sei am erlittenen Schaden mitschuldig, muss er nicht unabdingbar eine widerrechtliche Tat begangen haben und er muss sich nicht selber geschädigt haben. „Es muss ihm jedoch vorgehalten werden können, dass er die in seinem eigenen Interesse aufzuwendende Sorgfalt nicht beachtet, dass er nicht genügend Sorgfalt und Umsicht zu seinem eigenen Schutz aufgewendet” hat. Eine solche Erwartung bedingt, dass das Opfer fähig gewesen wäre, das Risiko einer Schädigung seiner Persönlichkeit abzuschätzen und sein Verhalten anzupassen (Erw. 5.1).


Verhalten des Geschädigten


Das Selbstverschulden wird nach einem objektiven Massstab beurteilt. „Das tatsächliche Verhalten des Geschädigten wird verglichen mit dem hypothetischen Verhalten eines durchschnittlich sorgfältigen Menschen in der Lage des Geschädigten.” Bei Kindern wird auf die durchschnittliche Entwicklung bezogen auf entsprechende Altersklassen abgestellt. „Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichtes werden 14- bis 16Jährige in Bezug auf einfachere Sachverhalte weitgehend den Erwachsenen gleichgestellt.” In der Folge analysieren die Bundesrichter den konkreten Fall weiter:

Sie erachten das Selbstverschulden und die Urteilsfähigkeit von A. als erwiesen. Der Kläger, von durchschnittlicher Intelligenz und altersgemässer normaler Entwicklung – auch wenn im psychiatrischen Gutachten auf seine verminderte Selbstsicherheit hingewiesen wird – hätte die Gefahr erkennen können, die sich hinter den homosexuellen Kontakten mit dem 30-jährigen Beklagten verbergen. Der Kläger hätte sich diesen Kontakten widersetzen müssen, was durchaus möglich gewesen wäre. Der Beklagte übte in der Tat keinen körperlichen Zwang auf seine Opfer aus und insistierte nicht, wenn diese weitere Kontakte verweigerten. Die Vorinstanz hat demnach zu Recht die Höhe der Genugtuung und des Schadenersatzes reduziert wegen Selbstverschulden des Opfers. Aber die Höhe der Kürzung widerspricht klar der Praxis des Bundesgerichtes. Eine Reduktion von 70% bedingt ein schweres Selbstverschulden des Geschädigten. „Das kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden. Verglichen mit dem Verschulden des Beklagten, der die homosexuellen Kontakte initiierte und suchte, ist das Selbstverschulden des Klägers, der keinen Widerstand leistete und sich den Angriffen auf seine sexuelle Integrität nicht entzog, als mittelschwer bis leicht einzustufen. Nach der Praxis des Bundesgerichts findet bei einem derartigen Selbstverschulden eine Reduktion um einen Viertel bis zu einem Drittel statt [Literaturhinweis]. Im vorliegenden Fall erscheint eine Herabsetzung um einen Viertel als angemessen. Die Reduktion um 25% gilt sowohl für die Schadenersatz- wie für die Genugtuung [Rechtsprechungshinweis]” (Erw. 5.2). Abschliessend verfügte das Bundesgericht, dass das Opfer Anspruch nicht auf 30%, sondern auf 75% einer Genugtuungssumme von Fr. 20’000.–, also auf Fr. 15’000.– hat. Was den Schadenersatz betrifft, muss dieser auf zivilrechtlichem Weg geregelt werden.


Eine hastig gemachte Analogie…


Das Vorgehen der Bundesrichter, dem eine Mehrheit von drei zu zwei zugestimmt hat, erscheint perfekt. Das StGB ermöglicht ohne Vorbehalte, jedes Opfer sexueller Handlungen zu schützen, vorausgesetzt, dass es unter 16 Jahre alt ist. Der Schutz gilt absolut, unabhängig davon, ob es zur Zeit der Tat urteilsunfähig war oder nicht, ob es Zeichen des Einverständnisses oder der Zufriedenheit in Bezug auf die erfolgte Behandlung gezeigt hat. Diese absolute Garantie ist gegeben, weil das geschützte Rechtsgut, die ungestörte sexuelle Entwicklung Unmündiger, einen übergeordneten Wert hat. Somit ist der Täter voll verantwortlich für seine Missetaten und kann zur Rechtfertigung keine Argumente vorbringen, die der Persönlichkeit oder dem zweideutigen Verhalten des Jugendlichen angelastet werden könnten. Mit dem Beginn der sexuellen Mündigkeit fällt diese Spezialbehandlung weg (4). In einem zweiten Schritt benutzen die Bundesrichter die Regeln, die sich auf die „Entstehung [der Obligationen] durch unerlaubte Handlungen” (Art.41 ff OR) beziehen. Die Verbindung, die sie zwischen den beiden juristischen Systemen herstellen, ist spitzfindig und knifflig. Art.187 StGB sagt in Bezug auf die Urteilsfähigkeit des Opfers absolut nichts aus. Aber er verbietet es auch nicht, sich darauf zu beziehen, wenn es um Geld geht. Damit wird das Selbstverschulden zum Schlupfloch für ein Werturteil über das Verhalten des Kindes.


… und ein sehr gefährlicher Präzedenzfall


Das Kind ist im Zusammenhang mit sexuellen Handlungen nicht verantwortlich, da es als sexuell minderjährig angesehen wird. Logisch wäre, dass der absolute Wille des Gesetzgebers die engen Grenzen des Strafgesetzbuches überschreiten würde, auch wenn es Fälle gibt, wo sich die Täter sexueller Handlungen das Verhalten ihrer jungen Opfer hinterfragen (5). Das Bundesgericht hat sich entschlossen, diesen vollständigen Schutz zu mindern: indem es sich auf ein anderes Wertesystem bezieht, führt es bei der Frage des Verschuldens und Selbstverschuldens von Kindern den Begriff der durchschnittlichen Entwicklung von 14- bis 16-jährigen Kindern und den des „einfacheren Sachverhaltes” ein. Sie übergehen vollkommen den besondern und sehr empfindlichen Kontext, in dem sich die sexuelle Entwicklung der Jugendlichen abspielt, und die feinsinnige Beziehung, die zwischen einem Jugendlichen und einem Erzieher besteht. Die Bundesrichter erwähnen keine der bestehenden Untersuchungen von nicht juristischen, aber ausgewiesenen Fachleuten. Sie verschweigen damit die möglichen Langzeitfolgen von sexueller Ausbeutung und vergessen sogar die Grundpfeiler des Schweizer Rechts, das die Kinder uneingeschränkt schützt: Art.19 und 39 der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (6), Art.11 der Bundesverfassung und Normen des Zivilgesetzbuches, hier im Speziellen die Kindesschutzmassnahmen. Die Stellungnahme der Bundesrichter könnte verheerende Folgen haben: gewiss, der sexuell ausgebeutete Jugendliche wird zwar die Genugtuung haben, dass der Täter für die nach strafrechtlichen Normen vollkommen verwerflichen Handlungen bestraft wird. Aber dann, wenn sich ein eventuell unermesslicher Schaden manifestiert, wenn es nötig wird, teure Therapien zu finanzieren, um die Lebensqualität des Opfers zu verbessern, wird ihm erklärt werden, dass, angesichts seines damaligen Alters und Entwicklungsgrades, er dem Täter in aller Form hätte nein sagen sollen und können und sich gegen die Handlungen ordnungsgemäss wehren, ja, zusätzlich noch, er dem auf Abwege geratenen Erwachsenen hätte helfen sollen, auf den rechten Weg zu kommen…

(Urteil der I. Zivilabteilung des Bundesgerichts 4C.225/2003, 24.2.2004.)

(1) Art.187 Abs.1 StGB: „Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt (…)”.

(2) Es handelt sich hier um das Prinzip des Selbstverschuldens.

(3) Im Unterschied zu Art.191 StGB, der speziell sexuelle Handlungen verfolgt, die an urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Personen verübt wurden.

(4) Dies wird im vorliegenden Fall besonders deutlich, da nur die Handlungen beurteilt wurden, die vor dem 16. Alterjahr des Opfers verübt worden sind, nicht aber die bis zum 22. Altersjahr erlittenen sexuellen Handlungen.

(5) Im vorliegenden Fall handelte es sich bei den sexuellen Handlungen nicht um einen „unglücklichen” momentanen Kontrollverlust, sondern um geplante Aktivitäten: anlässlich organisierter Zusammenkünfte mit mehreren Jugendlichen in der privaten Wohnung des Jungscharleiters, wurden die Genitalien vermessen und tabellarisch festgehalten, wurde mit einigen onaniert, mit andern vollständiger Sexualverkehr durchgeführt.

(6) Diese Bestimmungen, die sicher programmatischer Natur sind, setzen fest, dass jede Person unter 18 Jahren ein Kind ist, welches das Recht hat, vor jeder Form von Gewalt, einschliesslich sexueller, geschützt zu werden, solange es sich in der Obhut seiner Eltern oder jeder andern Person, der es anvertraut wurde, befindet (Art.19 Abs.1 KRK); das Kind muss von allen geeigneten Massnahmen profitieren können, die seine psychische und physische Wiedereingliederung fördern, wenn es Opfer von Vernachlässigung, Ausbeutung oder Gewalt war (Art.39 KRK).






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