Deprecated: mysql_pconnect(): The mysql extension is deprecated and will be removed in the future: use mysqli or PDO instead in /home/clients/dd97c3d1555e010b40d5c268f7caf91f/web/338/dei/includes_c/inc_dbopen.php on line 48
Défense des enfants international
section suisse
 
Afficher un article
Les sources des articles disponibles dans la recherche sont l'historique des bulletins DEI, la Convention des droits de l'enfant ainsi que certaines publication de DEI.


Zukunft Schwarzarbeit? Jugendliche Sans-Papiers in der Schweiz
Pierre-Alain Niklaus
Leiter der Anlaufstelle für Sans-Papiers Basel
www.sans-papiers-basel.ch

  
[ Bulletin DEI, décembre 2007 Vol 13 No 4 p.III ]


Laura – eine Jugendliche fast wie andere auch



Wie stark kann ein Stück Papier ein Leben verändern? Laura (fiktiver Name), eine junge Sans-Papiers-Frau aus Ecuador berichtet: „Plötzlich durfte ich nicht mehr zur Schule. Unser Asylgesuch war nach zwei Jahren abgelehnt worden. Ich hockte eine Zeitlang nur zu Hause. Schöne Zukunft, nicht? Ich erfuhr, was es heisst, auf die Seite geschoben zu werden, keinen Wert zu haben, wenn man keine Papiere hat. Kein Mensch mehr zu sein. Das war für mich ein Schock.“
Laura und ihre Mutter erfahren schliesslich, dass der Schulbesuch trotz fehlender Aufenthaltsbewilligung weiterhin möglich ist. Sie absolviert in der Folge den Rest der obligatorischen Schulzeit. Ein 10. Schuljahr folgt. Dann wird es erneut kritisch. Eine Lehrstelle kann sie ohne Bewilligung nicht antreten, für den Übertritt ans Gymnasium reichen die Noten nicht aus. Schliesslich schafft sie den Übertritt an die Handelsmittelschule. Doch schon bald stellt sich wieder die nagende Ungewissheit ein, wie ihre Zukunft ohne Bewilligung aussehen wird: „Im nächsten Jahr mache ich das Diplom. Wenn alles gut läuft, würde ich gerne die Berufsmatura abschliessen. Dafür muss ich ein Jahr lang ein Praktikum machen und brauche eine Bewilligung, leider. Nächstes Jahr um diese Zeit muss ich mir langsam Sorgen machen. Ohne Bewilligung kann ich die Schule nicht abschliessen und dann ist für mich Schluss.“
Sie steht vor einer regelrechten Sackgasse: „Plötzlich siehst du in dieser Situation keinen Weg mehr. Arbeiten kannst du ja ohne Bewilligung nicht, höchstens wie meine Mutter. Im damaligen Moment dachte ich, ich muss gleich weiter machen wie sie, ich muss auch Putzfrau werden, überleben, einfach nur weiter machen. Aber diese Vorstellung stimmte für mich einfach nicht, ich wollte das nicht machen. Ich wollte Physiotherapeutin werden. Ich hatte verschiedene Schnupperlehren gemacht und gemerkt, dass dies mein Traumberuf war. Zum Glück hatten sie beim Schnuppern die Bewilligung nicht verlangt, nur die AHV-Karte.“
Als ihre Klasse die Abschlussreise plant, weiss Laura lange nicht, ob sie mitkommen kann: „Als wir nach Prag gingen, zweifelte ich anfangs noch daran, dass ich wirklich gehen könnte. Ich musste den Kollegen immer sagen, ich wisse nicht, ob ich mitkomme. Nur eine Kollegin kannte meine Situation. Ich dachte, die andern gehen jetzt, nur ich bleibe hier. Es ging um eine Abschlussreise, so was ist einfach deprimierend, oder?“
Laura hat grosses Glück. Gerade noch rechtzeitig erteilt ihr das Bundesamt für Migration eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung – heutzutage eine extreme Seltenheit. Sie erzählt, wie stark die Aufenthaltsbewilligung ihr Leben verändert hat: „Früher dachte ich, wir sind da und stecken einfach fest. Es war wie eine Art Gefängnis, so wie wir lebten. Wir lebten gerne hier, aber es war immer ein grosser Stress, wir konnten nirgendwo hin. Als wir erfuhren, dass sie uns die Bewilligung geben, weinten wir fast vor Glück. Endlich war ich ein normaler, ein ganzer Mensch. Nicht so ein Schatten, der sich immer verstecken muss und Angst hat vor allem und jeden. Jetzt bin ich einfach irgendwie mehr wert. Es ist ein ganz seltsames Gefühl: Ich bin nun ein ganzer Mensch und kann machen, was ich will.“

Der schwierige Alltag jugendlicher Sans-Papiers



Über die Lebenssituation jugendlicher Sans-Papiers in der Schweiz ist wenig bekannt. Dies hängt damit zusammen, dass Sans-Papiers in ständiger Angst leben, entdeckt und aus der Schweiz ausgeschafft zu werden. Die meisten Sans-Papiers ziehen es deshalb vor, selbst gegenüber Bekannten nichts über ihre Situation zu sagen.
Dennoch sind die Sans-Papiers eine Realität. In der ganzen Schweiz leben je nach Schätzung zehntausende bis weit über hunderttausend Sans-Papiers. Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Migration (Longchamp 2005) schätzt, dass 60-80% der Sans-Papiers zwischen 20 und 40 Jahre alt sind. Der Anteil der Sans-Papiers mit Kindern liegt laut den befragten ExpertInnen zwischen 1% und 30%. Wir können vermuten, dass wohl über 10'000 Sans-Papiers zwischen 0 und 20 Jahren in der Schweiz leben, darunter mehrere tausend Jugendliche. Die Anlaufstelle für Sans-Papiers Basel wollte wissen, wie diese Jugendlichen leben und was sie über ihre Situation denken. Dazu führte sie zusammen mit der Hochschule für Soziale Arbeit Basel eine Studie durch (Leuenberger 2006)
Gemäss dieser Studie stossen Sans-Papiers-Jugendliche in verschiedenen Bereichen auf Probleme. Die meisten wachsen mit einem permanenten Gefühl der Angst und Unsicherheit auf. Angst davor, von heute auf morgen aus dem gewohnten sozialen Umfeld herausgerissen zu werden; Angst, dass die Eltern am Abend nicht nach Hause kommen, weil sie von der Polizei kontrolliert worden sind; Angst, anders zu sein als andere; Angst, Freunde nach Hause zu bringen oder abends auf die Strasse zu gehen; Angst, dass nach der obligatorischen Schule Schluss ist.
Permanente Angstgefühle sind auch aus Untersuchungen über erwachsene Sans-Papiers bekannt. Diese Ängste dürften aber bei Jugendliche weitaus gravierendere Auswirkungen haben. Einerseits fehlt ihnen eine gewisse Lebenserfahrung, um mit der schwierigen Situation zurecht zu kommen. Andrerseits ist es für die Betroffenen schwierig, die nötigen Entwicklungsschritte vom Kind zur erwachsenen Person zu bewältigen. Der Ablösungsprozess von den Eltern, der Aufbau von tieferen sozialen Beziehungen (Freund- und Partnerschaften) sowie die Entwicklung beruflicher Perspektiven fallen unter den Bedingungen eines Lebens in der Illegalität schwer. Auf der andern Seite fällt es auch den Eltern schwer, ihre Kinder im Loslösungsprozess zu unterstützen, ihren Kampf um Freiräume zu akzeptieren und sie in die Selbständigkeit zu entlassen.

Problem Postobligatorium



Kinder von Sans-Papiers dürfen heute die obligatorische Schule besuchen. Dies war nicht immer so. Ab Mitte der 80er-Jahre machten Kinderrechtsorganisationen vermehrt darauf aufmerksam, dass viele Kinder von Saisonniers aus Italien, Spanien, Portugal und Jugoslawien ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz versteckt lebten und nicht zur Schule gingen (Unicef, ohne Jahr). 1991 äusserte sich die schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren zum Thema der Einschulung fremdsprachiger Kinder und empfahl, „alle in der Schweiz lebenden fremdsprachigen Kinder in die öffentlichen Schulen zu integrieren“. Diese Formulierung bezog sich explizit auch auf die Kinder von Saisonniers. Die Schweiz ratifizierte 1997 die Kinderrechtskonvention. Mit diesem Schritt war das Recht auf Schulbildung auch für Sans-Papiers-Kinder zumindest auf dem Papier anerkannt.
Dieses Recht umfasst aber nur die obligatorische Schule. Danach gibt es in liberaleren Kantonen bei guten Leistungen die Möglichkeit, Berufsmittelschule oder Gymnasium zu absolvieren. Ob ein Sans-Papiers danach ohne Bewilligung an der Universität oder an einer Fachhochschule studieren könnte, ist noch unklar. Denkbar wäre allenfalls auch ein Studium mit einer Studenten-Bewilligung. Viele jugendliche Sans-Papiers wären aber dringend darauf angewiesen, auch Lehrstellen antreten zu können. Dies ist bis heute nicht möglich. In einem Brief vom April 2007 bitten die Plattform für einen Runden Tisch zu den Sans-Papiers und der Schweizerische Gewerkschaftsbund Bundesrätin Doris Leuthart, jugendlichen Sans-Papiers Lehrstellen zugänglich zu machen. Eine Antwort steht bis heute aus.
Diejenigen Jugendlichen, die kurz vor dem Ende der obligatorischen Schule stehen, schätzen ihre Berufschancen eher düster ein und überlegen sich, schwarz zu arbeiten. Diejenigen Jugendlichen, die von diesem „Wendepunkt“ weiter entfernt sind, verdrängen das Hindernis der fehlenden Aufenthaltsbewilligung. Von den acht für die Studie befragten Jugendlichen stehen heute deren vier im 9. oder bereits 10. Schuljahr. Alle sollten sich also mit der Berufswahl auseinandersetzen. Die 16-jährige Dora (fiktiver Name) hat schon verschiedene Schnupperlehren absolviert, sie möchte eine Lehrstelle als Coiffeuse finden. Einmal hat sie in ihrer Verzweiflung schon zur Notlüge gegriffen und behauptet, sie hätte eine B-Bewilligung. Wenn sie eine Zusage erhielte, wäre völlig unklar, ob sie die Lehrstelle überhaupt antreten könnte. Für die Betroffenen wahrlich eine unmögliche Situation!

Schlussfolgerungen



Im Gegensatz zu den 50er- bis 80er-Jahren funktioniert heute die schulische Integration der Sans-Papiers-Kinder gut, die soziale Integration bis zu einem gewissen Grad auch. Der grosse Unterschied zu legal anwesenden Jugendlichen besteht in der weitgehenden Perspektivenlosigkeit nach Ende der obligatorischen Schulzeit. Im Moment bleibt den meisten von ihnen nur die Wahl, wie ihre Eltern schwarz in der Schweiz zu arbeiten oder in ihr Herkunftsland, das sie kaum mehr kennen, zurückzukehren.
Die Kinderrechtskonvention garantiert auch minderjährigen Sans-Papiers gewisse Grundrechte. Allerdings zeigt sich mit aller Deutlichkeit, dass Grundrechte, die nur auf dem Papier existieren, wenig bringen. Sie müssen von der Zivilgesellschaft immer wieder aufs neue eingefordert werden. Damit sich die Situation der jugendlichen Sans-Papiers effektiv verbessert, sollten in den nächsten Jahren folgende Ziele angepeilt werden:
1. Vereinfachte Kriterien für die Legalisierung von Familien mit Kindern.
2. Öffnung der Berufslehren auch für jugendliche Sans-Papiers.
3. Verzicht auf Zwangsmassnahmen gegen Familien mit Kindern.



Literatur


Leuenberger, Petra, 2006: „Und ständig diese Angst“. Eine qualitative Untersuchung über Lebenssituationen und Bewältigungsstrategien Jugendlicher ohne geregelten Aufenthalt. Eine Studie im Auftrag der Anlaufstelle für Sans-Papiers Basel. Fachhochschule Nordwestschweiz Hochschule für Soziale Arbeit. Basel
Longchamp, Claude und Aebersold, Monia, 2005: Sans-Papiers in der Schweiz: Arbeitsmarkt, nicht Asylpolitik ist entscheidend. GFS. Bern. http://soziotrends.ch/migration/sans-papiers.php
Niklaus Pierre-Alain und Schäppi, Hans (Hrsg.), 2007: Zukunft Schwarzarbeit? Jugendliche Sans-Papiers in der Schweiz. Edition 8. Zürich
Reinmann, Esther, 2006: Schülerinnen ohne Aufenthaltsbewilligung im Bildungswesen. Eine Untersuchung von Handlungsstrategien Betroffener. Unveröffentlichte Lizentiatsarbeit. Institut für Sozialanthropologie. Universität Bern.
Unicef, Pro Juventute, Pro Familia Schweiz, Schweizerischer Kinderschutzbund, ohne Jahr (vermutlich 1992): Versteckt und alleingelassen. Über die Situation der Kinder ohne legalen Aufenthaltsstatus in der Schweiz.


„Zukunft Schwarzarbeit? Jugendliche Sans-Papiers in der Schweiz“ Hrsg: Pierre-Alain Niklaus / Hans Schäppi (April 2007, Edition 8)

Neben Porträts betroffener Jugendlicher und den Resultaten der Studie über Lebenssituationen und Bewältigungsstrategien Jugendlicher ohne geregelten Aufenthalt werden folgende Themen behandelt: Erfahrungsbericht eines Lehrers mit einer Sans-Papiers-Familie; Wie die "versteckten Kinder" der Saisonniers in den 1980er-Jahren zum Thema wurden und die staatlichen Schulen sich schliesslich für sie öffneten; Ökonomische und soziale Aspekte der zunehmenden Migration von Frauen; Die Entwicklung der Kinderrechte und ihre Bedeutung in Theorie und Praxis für Sans-Papiers-Familien; Schlussfolgerungen für Politik, Schule und Zivilgesellschaft.
Detailinformation und Bestellung des Buches (CHF 22.-): Anlaufstelle für Sans-Papiers, Rebgasse 1, 4058 Basel, www.sans-papiers-basel.ch / anlaufstellebasel@gmx.ch












© DEI - NetOpera 2002 - 2008 contact Conception et réalisation: NetOpera/PhotOpera,





niak2